Fahrbericht
Kawasaki ZX-9R
aus bma 8/99
von Beate Liebenthal
Ich bin nicht besonders groß, aber für eine Frau auch nicht besonders klein, ungefähr 170 cm bringe ich an die Meßlatte. Bislang hatte ich viel Spaß mit meiner ZXR 400 - leicht, handlich, spritzig und sportlich. Ein kleiner Sportler für Frauen, um mit den Worten eines Mannes zu sprechen.
Irgendwann stellte ich aber fest, daß meine Kilometerleistungen doch etwas über dem des Sommersonntagsnachmittagsfahrers lagen und vor allem daß die Autobahntouren über die A1 zu Freunden in Schleswig-Holstein nicht unbedingt die Lebensaufgabe der kleinen Ninja waren. Tja, wenn man im Weserbergland oder Sauerland wohnen würde.... Jedenfalls dachte ich mir, daß ein 400er Motor nicht unbedingt für zigtausende Geradeaus-Kilometer gedacht ist. Und so war die Entscheidung gereift, daß ein anderes Motorrad her sollte. Die Qual der Wahl... Ich gestehe, ich gehöre zur Fraktion der Plastik-Fetischisten, etwas sportlich sollte es auch bleiben und irgendwie Spaß machen, aber doch alltagstauglich sein und, und, und... Eine passende 750er hatte ich nicht gefunden, auch die 600 ccm-Modelle waren fast alle ausgeschieden. Blieben noch die 900er: doch die ZX 9 war einfach zu schwer, und die Fireblade? - nicht schlecht, mal schauen, Preise vergleichen...
Inzwischen war soviel Zeit vergangen, daß die ersten Berichte über die neuen 98er Modelle erschienen. „Na sowas, Yamaha baut eine neue 1000er, R1 soll sie heißen, und - wie passend - eine neue ZX 9 kommt abgespeckt auf den Markt.” Nun, schon fast Winter, hatte ich viel Zeit, Messen zu besuchen: „Die neue ZX 9 wäre ja nicht schlecht und Bodenkontakt mit beiden Füßen besteht auch. R1-Probesitzen, hm..., ziemlich klein, fast wie meine 400er, und eine etwas extreme Sitzposition.”
Im Frühjahr waren Probefahrten angesagt. Bei einem Frühlingsfest eines Kawasaki-Händlers ergab sich die Möglichkeit, die neue ZX 9 zu fahren. Als ich von der Probefahrt zurückkam, mußte ich die Kawa zwischen lauter wartenden Männern abstellen. Frage von der Seite: „Na wie isse?” Sein Kumpel: „Blöde Frage, schau dir doch das Grinsen und das Leuchten in den Augen an!” Es war tatsächlich wie in der Kawa-Werbung: „Eine Probefahrt reicht”, obwohl ich nicht Klaus heiße. Nach einer Woche voller schlafloser Nächte und natürlich heißer Diskussionen (schließlich fuhr mein Freund eine Suzuki GSX R 750, Bj. 94) stand meine Entscheidung fest, die wollte ich haben.
So war es denn am 19.3.98, als ich meine neue Kawasaki ZX 9 R (natürlich in grün, eine Kawa muß grün sein) abholen konnte. Ich habe mich für die Kat-Version entschieden, da dieses Motorrad erstmal über eine lange Zeit meins bleiben soll. Man weiß ja nicht, was diese gesamte Ozon-Diskussion noch so bringt.
Ich habe es nicht bereut, daß ich mich für die ZX 9 entschieden habe. Jetzt, nach 13.000 km (leider keine Urlaubsreise dabei), dachte ich mir, ich könnte auch anderen von diesem Motorrad berichten. Wo fängt man an? Ich denke auf die Meßwerte, Motorleistungen etc. kann ich verzichten, da gibt es genug Testberichte, die von technisch kompetenteren Leuten geschrieben wurden. Ich berichte mal meine persönlichen und völlig subjektiven Eindrücke.
Die Silhouette und das Design sind meiner Ansicht nach gut gelungen: das Heck ist relativ hoch und schmal, die Rückleuchten sind gut eingearbeitet - sieht von hinten echt gut aus. Auch die Griffe wirken nicht wie Wegwerf-Henkel sondern sind an die Gesamterscheinung angepaßt. Das Gewicht ist gut zu bewältigen und mit der Sitzhöhe habe ich keine Probleme. Der Tank wirkt auf den ersten Blick sehr groß, das relativiert sich aber sobald man seine Sitzposition eingenommen hat. Die Beine passen gut in die eingearbeiteten Mulden, und durch die über der Gabelbrücke angebrachten Lenkerstummel kommt frau auch gut an dieselbigen, ohne das Kinn auf dem Tank abzulegen. Die hohen Lenkerstummel haben auch den Effekt, daß man eine recht entspannte Sitzposition für ein Sportmotorrad hat. Naja, die etwas klobig wirkenden Gummi-Fußrasten sind nicht so hübsch, aber wenn man etwas Geld übrig hat, empfiehlt sich die Montage einer etwas weiter nach hinten verlegten Fußrastenanlage, was das sportliche Fahren etwas vereinfacht und bei langen Beinen vielleicht die Mulden des Tanks besser passen läßt.
Ich war doch recht freudig überrascht, daß man beim Überholen auch über einen normalen Pkw hinwegschauen kann und nicht seitlich daran vorbei peilen muß. Schmerzende Handgelenke und steife Unterarme bekommt man nicht, man muß also nicht ständig an der Grenze von erlaubten Geschwindigkeiten auf der Landstraße fahren, um die Handgelenke zu entlasten. Die Sitzhöhe macht auch wegen der schlanken Taille keine Probleme, d.h. auch kürzere Leute als ich würden mit der ZX 9 klar kommen, zudem läßt der niedrige Schwerpunkt das Balancieren nicht zum Kraftakt werden.
Die Sitzbank ist für mein Empfinden absolut kein Sofakissen aber auch nicht bretthart - kein schmerzendes verlängertes Rückrat, auch nicht nach längeren Touren.
Der Stauraum unter der Soziussitzbank ist ausreichend - naja, ich war ja nicht gerade verwöhnt, wie jeder weiß, der schonmal in die ZXR 400 geschaut hat. Auch an kleine nützliche Extras wurde gedacht: die ZX 9 hat nicht die üblichen Haken unter dem Heck zum Anbringen von Spanngurten, dafür sind unter der Sitzbank vier Haltegurte versteckt, die durch Aussparungen im Heckteil nach außen gelegt werden können, und zusätzlich befindet sich noch ein äußerst praktisches Klettband im Stauraum, mit dem man die diversen kleinen Dinge des täglichen Lebens im Stauraum rutschfest plazieren kann oder das man super als Wassersackhalter zweckentfremden kann. Das ebenfalls unter der Sitzbank untergebrachte Bordwerkzeug nimmt wenig Platz weg und hat übliche Qualität und Umfang.
Das Cockpit ist normal ausgestattet und übersichtlich, die Temperaturanzeige mit Balkendiagramm ist besser im Blickfeld als bei anderen Ausführungen. Ganz praktisch ist der digitale Tacho, per Knopfdruck von Tageskilometer auf Gesamtkilometer und Uhr umstellbar - ist auch während der Fahrt mit Handschuhen leicht zu bedienen.
Die Kat-Version hat einen Edelstahl-Enddämpfer, der ist zwar etwas klobig, aber nach der Einfahrphase entwickelt er einen guten Sound (für Serie!), was angesichts der momentanen Abschraubaktionen von unseren Freunden und Helfern ja auch ein Argument gegen nachgerüstete Zubehör-Dämpfer ist.
Das Startverhalten ist auch bei kaltem Motor gut, der Choke ist gut dosierbar und wie bei vielen Modellen am linken Lenkerstummel angebracht. Die Betriebstemperatur ist relativ schnell erreicht, aber man sollte sich hüten, den Choke zu lange zu weit draußen zu lassen, das wird sofort bestraft.
Nicht bestraft wird dagegen, wenn man mal einen zu hohen Gang wählt, der Hubraum erlaubt es durchaus, auch mal untertourig zu fahren. Auch sind in der Schräglage Korrekturen ohne größere Nervositäten möglich, man sollte sich aber (besonders bei der offenen Version) davor hüten, zu weit herrunterzuschalten. Das gibt heftige Adrenalinschübe beim Fahrer/in und Leistungsausbrüche bei der ZX 9. Ansonsten wird das Vorderrad wirklich nur bei sehr harten Beschleunigungsmanövern leicht (Vorsicht bei Ampelstarts, wenn ein Fahrzeug mit vier Rädern die Herausforderung sucht).
Die ZX 9 hängt gut am Gas und Schräglagenwechsel sind auch für Fliegengewichte unter 60 Kilo ohne großen Kraftaufwand zu bewältigen, sie fällt fast so leicht in die Kurven, wie ich es von der 400er gewöhnt war, und hält sauber ihre Spur. Die Bremsen sind auch o.k. - im Normalfall reichen zwei Finger aus - und lassen sich gefühlvoll dosieren.
Der Windschutz ist für mich ausreichend, längere Autobahnstrecken sind mit 180/190 km/h ohne Nackenschmerzen durchaus zu bewältigen. Lediglich ein klein wenig seitenwind-anfällig ist sie, aber nicht übermäßig.
Vibrationen habe ich eigentlich nur auf dem Soziusplatz (in erträglicher Form) feststellen können. Ich war überrascht, daß man mit 170 cm Körpergröße doch noch recht bequem dort mitfahren kann - für wie lange, kann ich nicht beurteilen, so lange geb' ich sie nicht aus meinen zarten Frauenhänden.
Der Verbrauch ist natürlich vom Fahrstil abhängig, ich muß meistens nach 240 bis 260 Kilometer den Griff zum Reservehahn ausüben.
Mit den serienmäßig aufgezogenen Bridgestone BT 56 bin ich zufrieden, sie haben auch bei Regen ausreichend Grip, um noch flott unterwegs zu sein und bilden einen guten Kompromiß zwischen Grip und Verschleiß. O.k. für Sonntagnachmittagsheizer mit wenig Gesamtfahrleistungen sind sicher andere Reifen zu empfehlen. Aber es ist schon gut, daß man hinten einen 180er Reifen gewählt hat und nicht für die Eiscafe-Racer einen 190er, das würde sicher die guten Handling-Eigenschaften zunichte machen.
Jedenfalls finde ich die ZX 9 durchaus alltagstauglich, ich fahre oft damit zur Arbeit, sie ist so schön vielseitig: vom Stadtverkehr über gemütliches oder flotteres Touren bis zu sportlichem Fahren oder Autobahnfahrten ist alles möglich - ohne anstrengend zu werden. Ich würde sie nicht wieder hergeben! Ein Tamagotchi eben nicht nur für Männer.