Fahrbericht
Kawasaki GPZ 1100
aus bma 8/00
von Thomas Ruhland
„Kawasaki GPZ 1100!” Mein Bruder rümpfte die Nase, „wie bist Du denn ausgerechnet an dieses Dickschiff gekommen?” Diese Frage musste ich mir am 8. März 1997 gefallen lassen.
Und das kam so: Im Sommer ‘96 hatte sich meine Frau von mir getrennt, und nach diversen langen Herbst- und Winterabenden stand zum Jahreswechsel eine besondere Tat an, ein gezielter Frustkauf. Die Yamaha XT 600 war ja ganz nett, aber dann sollte doch wieder ein richtiges Motorrad her. Erinnerungen an früher und die Zeit mit der FZ 750 wurden wach. Also: Austellungen besucht, Kataloge gewälzt, hier und da Probe gesessen. Dann, im Januar ‘97 bei Schweinekälte eine Probefahrt mit der Thunderace. Tolles Teil, aber 20.000 DM? - das gibt mein Budget nicht ganz her. Drei Wochen später entdeckte ich bei einem Händler in Hannover eine gebrauchte Suzuki GSX 750.
Probefahrt - das Teil war ab 200 km/h nur am Pendeln. Nach zwei weiteren ergebnislosen Wochen erzälte ich einem befreundetem Hifi-Händler von meinen Erlebnissen, worauf er sagte: „Nimm doch meine GPZ 1100 - die soll weg, ich kauf mir eine Ninja.” Also ging es ab nach Langenhagen.
Da stand sie nun vor mir: blau, groß und schwer. Mit meiner Größe von 1,72 m fühlte ich mich auf der GPZ auf Anhieb wohl. Nun, dachte ich, Probefahrt kostet nichts - das gab den Ausschlag und so wurde sie mein. Es waren 10.500 km auf der Uhr, ihr Zustand war top, die Reifen neu und der Preis von 11.500 DM war okay, zumal ich ja wusste, wer mit ihr umgegangen war. „Nach zwei Bandscheibenvorfällen habe ich keine Lust, mit einem Rennbrezel zu fahren und mich nach zwei Stunden nicht mehr bewegen zu können”, erklärte ich meinem Bruder. „Die Kawa ist schnell, bequem, pendelt nicht und die vielen Kilogramm (272) fallen während der Fahrt nicht auf”, schwärmte ich weiter. Nach einem „glaub’ ich nicht” startete nun mein Bruder zu einer Probefahrt und wurde zwei Stunden lang nicht gesehen. Auch ihm gefiel sie danach. Zwei Tage später gab es den - bisher einzigen - Totalausfall. Von der XT war ich es gewohnt, den Benzinhahn nach der Tour zu schließen. Das tat ich am Sonntagnachmittag bei der GPZ auch - dachte ich zumindest. Ich hatte die Kawa stattdessen fast 48 Stunden geflutet. Als absoluter Nicht-Bastler machte ich mich nun daran, einen Ölwechsel vorzunehmen und mindestens 30 Teile abzubauen, um auch die Kerzen zu wechseln. Das blieb meine einzige Aktion in Sachen „Schrauben”.
Bis Mai machte ich mich mit ihr richtig vertraut, ließ die offene Leistung in die Papiere eintragen und änderte ihr Trinkverhalten. Michael, der Vorbesitzer, gab ihr Normalbenzin. Bei längeren Autobahnfahrten mit hohem Tempo hatte ich keine Schwierigkeiten, um die 10 Liter zu verbrauchen. Über Super bin ich dann an Super Plus geraten und konnte so den Verbrauch in allen Bereichen um 1,5 -2 Liter reduzieren.
Die erste große Tour stand Mitte Mai ‘97 an. Bepackt mit Tankrucksack und Backpack ging es das erste Mal nach dem Bürgerkrieg nach Kroatien. Das erste Mal mit dem Motorrad in den Urlaub - ich machte meine erste Alpentour daraus und versuchte, so wenig Autobahn wie möglich zu fahren.
Auf der Insel Pag hatte ich meine erste Reifenpanne. Der Kopf eines recht langen Nagels lugte aus dem Hinterreifen. Ich hätte nie gedacht, dass der Reifenpilot zu 100% abdichtet. Er tat es; mit dem geflickten Reifen bin ich noch fast 4.000 Kilometer gefahren.
1999 konnte ich, dank sehr flexibler Urlaubsgestaltung, gleich drei Mal nach Kroatien fahren. Von Mal zu Mal verkürzte sich der Strandurlaub - zugunsten eines längeren Anfahrtsweges! Um mehr Gepäck mitnehmen zu können, legte ich mir Satteltaschen zu. Die Dinger waren ein echter Fehlkauf. Da ich dem einfachen Überlegen auf der Sitzbank nicht traute, befestigte ich sie jedesmal unter der Bank - Resultat beim Abnehmen: jedesmal schmutzige Finger. Geflattert haben sie ab 160 km/h trotzdem. Zudem sind sie auch absolut nicht regendicht und Regenhauben dafür gibt’s nicht.
1999 begann ich auch mit diversen kleinen Tagestouren. Vorher ließ ich - etwas verspätet - beim Kilometerstand 45.000 die Ventile einstellen und die Vergaser synchronisieren, und dann wurden Inspektion, Reifen und der Kettensatz erneuert. Nun konnte ich mit meiner Sozia von April bis August ausgiebig durch die Gegend düsen. Andrea fühlte sich auf der Sitzbank auch auf längeren Strecken wohl, so dass wir Anfang Juni Pläne für die Urlaubstour schmiedeten. Klar, dass auch wieder einige Alpenpässe dazugehören sollten. Wir einigten uns folgendermaßen: vier Tage Fahrt Richtung Kroatien, neun Tage Badeaufenthalt und vier Tage retour.
Die Streckenplanung inklusive Hotel- und Pension-Reservierungen nahm einen kompletten Tag in Anspruch. Doch es hat sich gelohnt. Wir bekamen jede Menge zu sehen und fuhren kein Stück der Strecke zwei Mal.
Für die Unterbringung des Gepäcks erschien uns die Anschaffung von Koffern sinnvoll. Da für die GPZ die Auswahl an Kofferträgersets sehr klein ist, wurde die teure Kombination von Hepco & Becker die unsere. Die Anleitung, die zur Montage beilag, ist eine Frechheit. Bei einem Kinderhochbett für 350 DM liegt eine vierseitige Anleitung inklusive Abbildung aller Schrauben in Originalgröße bei. H&B benutzt hier Schraubenfachbezeichnungen, mit denen vielleicht ein Maschinenschlosser vertraut ist; ich - mit kaufmännischer Ausbildung - nicht. Und dann die Passgenauigkeit! Gut, die Teile sollten unter Anspannung montiert werden. Ich war ja auch angespannt. Als dann endlich der Träger und die Koffer dran waren, erschrak ich: meine Kawa hatte Überbreite. Damit im Stau durchschlängeln? Gut, dass wir vorhatten, die ersten 800 Kilometer mit dem Auto zu fahren.
Morgens um 4.00 Uhr verfrachteten wir die Kawa in den VW-Bus und starteten Richtung Leermoos/Österreich. Bereits am Nachmittag konnten wir die erste Tour in Angriff nehmen. Dies waren meine ersten Erfahrungen mit zwei Personen im Gebirge. Am nächsten Tag kam dann noch das komplette Gepäck hinzu und die Kawa zeigte mir die Grenzen - ihre und auch meine. Naja, wir waren wohl etwas überladen. Das Topcase brachte bei den wenigen Strecken, die man schnell fahren konnte, eine abartige Unruhe ins Spiel. Aber was nützen mir 42 Liter Staukapazität, wenn ich sie nur mit fünf Kilo beladen kann? Also: volles Gepäck und zwei Personen aufgeplustert wie Michelin-Männchen - das war der nicht so tolle Teil der Tour.
Und das Stilfser Joch hat mit dieser Fuhre überhaupt keinen Spaß gemacht. Außerdem trat jetzt etwas auf, was ich nur vom Lesen kannte: der Schimmi-Effekt. Morgens, wenn die Reifen noch kalt waren, hatte ich das Gefühl, es haut mir das Vorderrad aus der Gabel. Also Körpergewicht nach vorne und voooorsichtig fahren - nach 20 Minuten war der Spuk vorbei. Allerdings traute ich mich in dieser Zeit nicht, entgegenkommende Motorradfahrer zu grüßen. In Kroatien, bei Fahrten ohne Gepäck, war wieder alles normal.
Während der gesamten Tour erzielte ich übrigens einen Verbrauch von knapp über fünf Litern; für eine Tour mit zwei Personen und mit vollem Gepäck auf über dreiviertel der Strecke nicht schlecht.
Wieder zurück, zeichnete sich ab, dass sich die Wege meiner Sozia und mir trennen würden. Somit konnte mir zumindest der Metzeler ME Z2 erhalten bleiben, den ich während der Rücktour ausgiebig verflucht hatte, mit dem ich aber im Einpersonenbetrieb absolut zufrieden bin (Laufleistung zwischen 13-15.000 km).
Fazit: absolute Tourentauglichkeit kann der GPZ im Einpersonenbetrieb und bei Fahrten mit Sozia und Wochendgepäck bestätigt werden. Das Topcase ist sch...., außerdem bekomme ich von einigen Freunden dann immer gesagt:„Tommy und sein Beauty-Case”. Die Verarbeitung der Schlösser ist bei H&B nicht zufriedenstellend. Das Staufach unter der Sitzbank ist brauchbar groß. Ich bringe hier einen halben Liter Reserve- Öl, Kettenspray, Reifenpilot, Regenschuhe/Handschuhe und für die österreichischen Abkassierer Verbandskis- sen neben dem Bordwerkzeug unter.
Jetzt, bei einem Kilometerstand von fast 62.000, liegt der Ölverbrauch bei einem halben Liter auf 1000 Kilometer. Außer einem defekten Lenkkopflager bei km 19.000 wurde neben den Verschleißteilen sonst nur die Tachowelle zweimal ausgetauscht - eine absolute Fummelarbeit im Cockpit -sonst nichts. Der jetzige Kettensatz (mein dritter) ist noch in Schuss. Der Lack an einigen Stellen am Rahmen, die Farbe an Motorteilen und einige Plastikteile sehen nicht mehr ganz ansehnlich aus. Das dürfte aber im Hinblick auf die gefahrenen Kilometer und die ständige Inanspruchnahme in Ordnung gehen. Mal sehen, was hier im nächsten Frühjahr zu tun ist. Ein zweiter Tageskilometerzähler wäre schön.
Das einzige, was mir absolut nicht gefällt, ist die Auspuffanlage. Optisch schon lange unansehnlich klingt die Kawa nicht nach 1100 ccm. Okay, laut wie Harley - verstehe ich eh nicht - muss ein Motorrad nicht sein. Meine ehemalige Katana mit halb so viel Hubraum hatte jedoch einen wesentlich schöneren Klang. Seit einigen Monaten kommt bei gewissen Drehzahlen nun noch ein Geräusch hinzu, das mit dem eines VW Käfers Ähnlichkeit hat - nervig. Dabei bin ich doch nie Käfer gefahren. Leider gibt es kaum Alternativen auf dem Zubehörmarkt. Oder hat hier ein GPZ 1100-Fahrer - es scheint ja viele zu geben - einen Tipp für mich? (Meine Telefonnummer: 04223-3477).
Vor kurzem habe ich mir eine Alpenkarte geholt und die Pässe, auf denen ich schon mal war, gepint. Dabei stellte ich fest, dass es doch noch ein paar gibt, die ich nicht kenne und ein Teil von denen ist dieses Jahr dran. Das mittelfristige Ziel ist es, den Kilometerstand einer BMW zu schlagen. Bei Tobias steht eine R 100 RS mit 95.000 auf dem Tacho - die werden geknackt!
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