Fahrbericht
Kawasaki Zephyr 1100 - Verklärungsbedarf
Aus bma 11/97
Von Klaus Herder
"Als wir 1973 mit der Z 900 den Honda-Jungs gezeigt haben, wo der Hammer hängt...” - so oder ähnlich beginnen die meist unendlichen Lebensgeschichten bierseliger Alt-Biker. Mittlerweile tragen die Oldies zwar ein Holsten-Geschwür und schütteres Haupthaar, rotten sich aber immer noch gern am klappbaren Lagerfeuer zusammen, um „Benzin zu reden”. Das ist allerdings nur eine nette Umschreibung dafür, harmlose Motorrad-Youngster hemmungslos zuzuquatschen. Die Erinnerung verklärt bekanntlich. Früher war alles besser. Oder hat zumindestens mehr Spaß gemacht. Doch abgesehen davon, daß nur ein verschwindend geringer Teil der vermeintlichen Big Bike-Piloten vor über zwanzig Jahren tatsächlich Z 900 oder CB 750 fuhr - die Mehrzahl rutschte auf handelsüblichen 250ern oder bestenfalls auf einer Strich-Fünfer-BMW durch die Gegend und träumte höchstens von den großen Japanern - waren die goldenen Siebziger zumindest in technischer Hinsicht dann doch nicht so prall.
Die Motoren überforderten die Fahrwerke, standfeste Bremsen galten als Luxus, und speziell die Kawasaki-Kundschaft ärgerte sich regelmäßig über eine äußerst anfällige Elektrik. Eine Motorüberholung nach nur 30.000 Kilometern war völlig normal, 50.000 Kilometer ohne geöffnetes Triebwerk schienen schon fast rekordverdächtig.
Doch die Siebziger hatten natürlich auch ihr Gutes. Nämlich klares, elegantes Motorrad-Design, das damals vermutlich noch nicht so hieß, aber trotzdem ziemlich gut aussah. Spätestens seit der IFMA 1992 ist die Form der frühen Jahre wieder schwer angesagt. Norddeutsch heißen die entsprechenden Modelle Naked-Bikes. Straßenmotorrad ohne Verkleidung meint das Gleiche, klingt aber nicht so wichtig. Alt-Klassiker unter den Neu-Klassikern sind Kawasakis Zephyr-Modelle. Was mit 550 und 750 ccm begann, wurde vor fünf Jahren mit der Zephyr 1100er gekrönt. Yamaha und Suzuki legten zwischenzeitlich mit unverkleideten 1200ern nach und bieten motor- und fahrwerksmäßig mehr. Doch die schönste Nackte heißt immer noch Zephyr. Auch und gerade seit dem Modelljahr 1996, denn da spendierte Kawasaki der großen Zephyr bildhübsche Drahtspeichenräder.
Die Kawasaki ist ein Ich-fühle-mich-auf-Anhieb-wohl-Motorrad. Die Muldensitzbank ist breit und bequem, der perfekt gekröpfte Lenker liegt relativ hoch und genau dort, wo er für eine entspannte und aufrechte Sitzposition sein soll. Zephyr-Fahrer dürfen sogar etwas kürzer sein, denn 780 Millimeter Sitzhöhe sind niedrig genug, um auch 1,65 Meter-Menschen sicheren Stand zu ermöglichen. Lange Lulatsche müssen trotzdem nicht leiden. Bei zwei Meter Länge paßt alles hervorragend. Die Fußrasten sind relativ hoch und ausreichend weit hinten montiert. Zusammen mit dem aufrechten Oberkörper sorgt das für die klassische und obercool wirkende Superbike-Sitzhaltung, die man früher nur mit teuren Zubehörteilen erkaufen konnte (Raask-Fußrasten - wir erinnern uns...). Die Fußrastenplazierung kommt außerdem der ohnehin recht guten Schräglagenfreiheit entgegen. Die Mitnahme eines Sozius sollten sich Zephyr-Fahrer aber lieber ganz schnell abschminken. Die Sitzbank ist viel zu kurz und taugt höchstens für einen Eisdielen-Quickie.
Der Arbeitsplatz ist dafür um so besser gelungen: lenkerfest montierter Chokehebel, Handbrems- und Kupplungshebel vierfach verstellbar - das paßt. Das Startverhalten des luftgekühlten Vierzylinders ist tadellos und der Sound angenehm dumpf bollernd. Der Motor stammt übrigens nicht aus der guten alten Zeit. Kurbelgehäuse und Kurbeltrieb finden sich zwar in leicht modifizierter Form auch in Kawasakis US-Uraltourer Voyager, doch der Rest ist eine komplette Neukonstruktion anno 1992. Neu bedeutet dabei nicht unbedingt revolutionär. Zwei obenliegende Nockenwellen steuern zwei über Tassenstößel betätigte Ventile pro Zylinder. Eine zahnradgetriebene Ausgleichswelle bemüht sich, die ärgsten Vibrationen von Mann/Frau und Maschine fernzuhalten. Das gelingt nur bedingt - um 6000/min. sind hochfrequente Schwingungen deutlich spürbar. Für die thermische Gesundheit sorgt ein serienmäßiger Ölkühler. Damit die üppig bemessenen fünf Liter Ölfüllmenge ständig in Wallung bleiben, spendierten die Techniker der Zephyr gleich zwei Ölpumpen.
Einen Katalysator gibt es nicht, aber immerhin optimiert eine Doppelzündung mit zwei Kerzen pro Brennraum die Verbrennung, und ein Sekundärluftsystem führt den Auslaßkanälen Frischluft zu. Das verbessert wiederum die Emissionwerte. Den Sekundärantrieb übernimmt eine Kette. Eine Kardanwelle hätte das ohnehin bescheidene Leergewicht von 272 Kilogramm weiter in die Höhe getrieben und nicht zu Kawasakis Sportler-Image gepaßt. Die Wartungsfreundlichkeit ist trotzdem gut, denn ein Exzenter in der Aluminium-Kastenschwinge und der serienmäßige Hauptständer machen die Kettenpflege zum Kinderspiel. Ein Griff zum Aufbocken würde das Ganze noch einfacher machen, aber auch ohne läßt sich die Kawa überraschend leicht auf den Hauptständer hieven. Die Hebelübersetzung stimmt.
Der Stadtverkehr ist mit dem Dickschiff kein Problem. Der Schwerpunkt liegt niedrig, die Maschine ist überraschend wendig, und das Handling stimmt. Die Kupplung läßt sich auch von zarten Händen leicht bedienen, doch das Fünfganggetriebe erfordert nachdrückliche Schaltarbeit. Für japanische Verhältnisse ungewohnt lassen sich die Gänge oft nur hart und geräuschvoll einlegen. Ab 2000/min. - das entspricht fast legalem Innerorts-Tempo 60 - darf der letzte Gang auf Dauer drinbleiben, denn die Zephyr schiebt dann ohne sich zu verschlucken flott voran. Ein Durchzugswunder ist sie allerdings nicht. Wer die großen Nackten des Wettbewerbs kennt, wird vielleicht sogar etwas enttäuscht sein. Doch das ist relativ. Ein ziemlich starkes Stück ist die Zephyr mit ihren 93 PS bei 8300/min. allemal. Wer die Drehzahlmessernadel zwischen 5000 und 8000/min. hält, braucht auf Dauer eine gute Kondition, um dem Fahrtwind zu trotzen. Den Sprint von Null auf 100 erledigt die Zephyr in unter vier Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit liegt irgendwo um 210 km/h herum. Um von 60 auf 140 km/h durchzustarten, braucht die 1100er rund 14 Sekunden - reicht doch.
Für das klassische Superbike-Feeling sorgt das Fahrwerk. Die Zephyr läuft zwar stoisch geradeaus, doch kommen Kurven mit welligem Fahrbahnbelag ins Spiel, schwänzelt die Kawasaki ums Eck. Das leichte Pendeln wird nie besorgniserregend oder gar gefährlich, ist für eine 1100er der 90er Jahre aber kein Ruhmesblatt. Erschwerend kommt hinzu, daß sich die Federelemente eher von ihrer harten Seite zeigen. Die Gabel läßt sich gar nicht verstellen, die beiden Federbeine sind selbst in der softesten Einstellung zu straff.
Bei den Bremsen gibt sich die Kawa dafür keine Blöße. Die aus dem 90er Jahrgang der ZXR 750 stammenden Doppelkolbensättel haben die beiden 310 mm-Scheiben fest im Griff, Dosierbarkeit und Wirkung sind hervorragend. Die hintere Einzelscheibe hat nicht nur Alibifunktion, sondern unterstützt wirksam das vordere Doppel.
Die Verarbeitung der Zephyr ist ordentlich - das gilt übrigens auch für die Elektrik. Das sehr gute Abblendlicht erlaubt den zügigen Nachtflug, das Fernlicht ist ebenfalls eine Leuchte. Die Tankuhr arbeitet mäßig genau und kann den zu hohen Verbrauch nicht kaschieren. Unter 7,5 Litern Normalbenzin auf 100 km geht bei der Zephyr fast gar nichts - damit lassen sich heutzutage Mittelklassewagen bewegen.
Der Preis liegt dafür auf Kleinwagen-Niveau: DM 16.775.- verlangt der freundliche Kawa-Händler laut Liste. Dafür gibt es dann ein Motorrad, das alles besser kann, als seine formalen Vorgänger. Der Motor ist standfester, die Verarbeitung ist besser und die Bremsen sind den Fahrleistungen angemessen. Die kleinen Fahrwerksschwächen und die nicht ganz so tollen Federelemente lassen sich verschmerzen und machen für einige Nostalgiker vielleicht ein Stück des Siebziger-Jahre-Charmes aus. Möglicherweise heißt es ja dann in zwanzig Jahren: „Als wir damals mit der Zephyr...”.