Fahrbericht Kawasaki ZZ-R 1200

-- WICHTIGES AN DIESER STELLE --

Stammtische: KawasakiS NRW 07.12. Willich

  • Fahrbericht Kawasaki ZZ-R 1200


    Schlank waren sie noch nie, Kawasaki´s Sporttourer mit 1000 ccm Hubraum und mehr. Vier Zylinder mit jeweils vier Ventilen hatten sie hingegen schon immer und schnell waren sie obendrein.

    Die neue ZZ-R 1200 kommt jetzt auch mit vier Scheinwerfern. Ausgehend von der seligen ZX-10 befindet sie sich momentan zudem in der vierten Evolutionsstufe. Ob sich bei der ZZ-R 1200 auch das höchste Skat-Gefühl einstellt, oder ob es eher ein Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel wird, klärt dieser Fahrbericht.


    Angesichts der langjährigen Marktpräsenz des Grand- Turismo-Konzeptes sei darum an dieser Stelle ein kurzer Rückblick in die Ahnengalerie der neuen ZZ-R 1200 gestattet. Begonnen hatte es genau genommen mit der ZX-10 von 1988. Die führte zwar noch kein „ZZ-R“ im Typenschilde, schaffte jedoch den Spagat zwischen Sportler und Tourer mit Bravour, jede Menge Auszeichnungen und - wie könnte es bei Kawasaki anders sein - dem Blauen Band der Schnellsten.
    Dank einer Höchstgeschwindigkeit von echten 265 km/h schaffte es nur der Nachfolger ZZ-R 1100, den Höchstgeschwindigkeitsrekord im Jahre 1990 auf 270 km/h zu schrauben. Trotzdem gehörte die ZX-10 längst noch nicht zum alten Eisen. Wer seiner ZX 10 und sich selbst etwas Gutes tun wollte, spendierte der Kawasaki bei Gelegenheit vielleicht etwas straffere Federelemente, oder die ein oder andere Bremsscheibe, die sich auf Grund zu starker Hitzeentwicklung beim Bremsen schon einmal verziehen konnte. Aber sonst gab´s an ihr nicht viel zu monieren.

    Umso skeptischer war man bei der Präsentation der zweiten Evolutionsstufe, der ZZ-R 1100. Die Formen wurden weicher und die Aerodynamik bestimmte noch mehr das Erscheinungsbild. Zierlicher wurde sie aber dennoch nicht. Sagenhafte 145 PS schickte die Kurbelwelle damals an die Kupplung. Ganz so einfach war es jedoch nicht, im Leistungs- und Geschwindigkeitswettlauf immer die erste Geige zu spielen. Dazu installierte man die erste wirklich funktionierende Staudruckaufladung in der Geschichte der Großserienmotorräder. Das als RamAir bekannte System ist optisch an der Öffnung unterhalb des Scheinwerfers zu erkennen und verhilft der ZZ-R insbesondere bei höheren Geschwindigkeiten zu einer Extraportion Leistung.

    Dies alles war bereits seinerzeit angenehm solide verpackt und die Marketingabteilung machte glück-licherweise nicht den Fehler, die große 1100er als Supersportler anzupreisen. So kam es, dass sie ihre guten Voraussetzungen für ein langes Motorradleben mit den Jahren noch weiter entwickeln konnte. Während viele Supersportler meist schon nach einem Jahr zum alten Eisen gehören, gilt die Kawasaki über viele Jahre als Synonym für ultimative Ausdauer und Beständigkeit. Die Modellpflegemaßnahmen für die dritte Evo-Stufe im Jahre 1993 unterstreichen den rundum stimmigen Charakter nochmals. Fahrwerkstechnisch bleibt kein Stein auf dem anderen. Der ehemalige E-Box-Frame getaufte Brücken- rahmen, der noch auf dem ZX-10-Leichtmetall- Gebilde basierte, wich einem ergonomisch günstigeren Formprofilrahmen. Dadurch wurde die Stabilität nochmals gesteigert und die Sitzhöhe auf ein anwenderfreundlicheres Maß gesenkt. Auch die Ausstattung profitierte von den Modifikationen, so dass die ZZ-R für routinierte Langstreckenfahrer stets eine gute Empfehlung ist. Unterhalb des Scheinwerfers findet man nun zwei Öffnungen, die das überarbeitete RamAir-System noch effektiver arbeiten lassen.

    Kommen wir nun zur vierten Entwicklungsstufe, der neuen ZZ-R 1200. Lange hatte man auf eine Wachablösung der 1100er warten müssen. Besonders die Händler sahen sich oftmals außer Stande, der fragenden Kundschaft einen modernen Sporttourer anbieten zu können. Doch nun ist er endlich da und soll alles deutlich besser können als die selige ZZ-R 1100. Das ist auch dringend erforderlich, denn die Konkurrenz grast bereits seit geraumer Zeit ungestört auf der saftigen Weide liquider und anspruchsvoller Tourenfahrer.
    Beim Blick in die Kawasaki-Presseunterlagen fällt der Begriff „Hochleistungssporttourer“. Was auch immer man darunter verstehen soll, Hochleistung kann nicht grundsätzlich verkehrt sein und einen neuen Sporttourer wollten wir ja schließlich alle haben. Nun, eines gleich vorweg: Technisch betrachtet ist sie eine konsequente Weiterentwicklung der 1100er. So verwundert es nicht, dass der verstärkte Rahmen bis auf die Schwingenaufnahme und Rahmenheck stark an den Vorgänger erinnert. Die mit 65° nun 1,5° steiler stehende Telegabel ist ebenfalls neu und sorgt für passable Handlingeigenschaften. Die etwas längere Schwinge ähnelt dem ZX-9 R-Pendant und verlängert den Radstand geringfügig auf 1505 Millimeter. Insgesamt wird die ZZ-R 1200 dadurch etwas kopflastiger und reagiert spontaner auf Lenkimpulse. Solange es nicht supersportlich zur Sache geht, ist das Gewicht von 270 kg schnell vergessen und Fahrer sowie Beifahrer können die bequeme Sitzposition genießen. Dann macht das Kurvengeigen über gut ausgebaute Landstraßen richtig Laune. Punkgenau lässt sich die Kawa abwinkeln, lediglich der häufige Fußspitzenkon-takt mit der Fahrbahn kann für leicht erhöhte Unterhaltskosten sorgen.

    Die weiteren Modifikationen bleiben größten Teils dem Auge des Betrachters verborgen. Der wassergekühlte Vierzylinder mit seinen vier Gleichdruckvergasern und elektronischem Drosselklappensensor (TPS) ist ein modifizierter ZRX 1200-Geselle und bekannt für seinen balsamierenden Leistungseinsatz. Wichtigster Unterschied ist jedoch die Fallstrom-Bauweise der Gemischfabrik, die auch einen neuen Zylinderkopf nötig macht. Am Ende der Umbaumaßnahmen stehen jedenfalls 152 PS und ein Drehmoment von 128 Nm auf dem Papier - dank KLEEN-Abgasreinigungssystem sogar umweltschonend. Zum Vergleich: Eine ZX-12 R produziert lediglich 6 Nm mehr.

    Bereits beim Anfahren werden die touristischen Qualitäten der neuen ZZ-R offensichtlich. Der Antritt gleicht einem kraftvollen Bullen, der sich mit aller Nachdrücklichkeit in Bewegung setzt. Leistung ist in dieser Klasse naturgemäß kein Thema mehr, so dass man sich genussvoll der gewaltigen Drehmomentkurve hingeben kann. Ab 4.000 min-1 beginnt der Reihenvierer spürbar seinen Bizeps zu spannen, um ab 6.500 min-1 zum zweiten und letzten Mal bis zur Nenndrehzahl unnachgiebig durchzuatmen. Der Durchzug ist selbst im sechsten und damit letzten Gang äußerst eindrucksvoll. Provokantes Herumrühren in der Schaltbox bringt nicht viel und treibt lediglich den Kraftstoffverbrauch von durch- schnittlich 6,2 Litern Normalbenzin in die Höhe. Außerdem passt es so gar nicht zu dem ausgesprochen friedfertigen Gesamteindruck der ZZ-R 1200, der zu einem ganz besonders taugt: Zum unkomplizierte Reisen. Mit diesem permanent starken Atem, der die Maschine bei Bedarf bis auf über 270 km/h beschleunigt, erschließt sich dem Fahrer die einzigartige Welt der Big Bikes. Wem das nicht reicht, sollte sich einmal Gedanken über die 190 PS starke ZX-12 R machen.

    Wer auf den meist überfüllten Autobahnen noch ausreichend Platz für solche Speed-Einlagen findet, wird den sicheren Geradeauslauf und den hervorragenden Windschutz der ZZ-R loben. Dauertempi von 200 km/h und mehr sind kein Problem - gesetzt den Fall, die Bahn ist frei. Auch das Ansprechverhalten der Federelemente gibt keinen Grund zur Klage, wenngleich die Abstimmung bei sportlicher Fahrt einen Tick zu weich ausfällt. Egal, beim Touren zählen andere Qualitäten als sportliche Härte. Zum Beispiel die Anbringung eines passenden Koffersystems gleich ab Werk, oder das große Staufach im verschraubtem Stahlheck. Oder die feinen 320er-Bremsscheiben, die von zwei Vierkolbensätteln in die Zange genommen werden und in Wirkung und Dosierbarkeit dem hohen Kawasaki-Standard entsprechen. Besonders im Alltag hinterlässt die nicht zu komfortable Abstimmung den Eindruck eines gelungenen Kompromisses. Dort lernt man auch den Hauptständer zu schätzen, der einem in vielen Situationen das Leben erleichtert. Und sei es nur zum Festzurren des Gepäckes, zur Kontrolle des Ölstandes oder zum turnusmäßigen Kettenspannen. Dabei fällt denn auch auf, dass die Kette fortan nicht mehr via Exzenter, sondern über Gewindebolzen und Gleitstück erfolgt. Das ist vielleicht nicht ganz so schön, funktioniert aber genauso gut.

    FAZIT: Am Schluss stellt sich die Frage, ob es Kawasaki geschafft hat, aus dem ehemaligen Sporttourer ZZ-R 1100 einen Hochleistungssporttourer namens ZZ-R 1200 zu machen. Bei der Frage nach dem höher, schneller und weiter kommen wir zu folgender Erkenntnis: höher - nein; schneller - bedingt; weiter - auf Grund des um einen Liter geringeren Tankvolumens von 23 Litern und den geringfügig niedrigeren Verbrauch - ebenfalls nur ein „nein“. Welcher Kritikpunkt in dieser Fortschrittsformel jedoch nicht berücksichtigt wird, ist nach dem „besser“. Und die muss eindeutig mit „ja“ beantwortet werden. Kawasaki hat mit der ZZ-R 1200 wieder einen Ass im Ärmel. Wäre doch gelacht, wenn bei der nächsten Skat-Runde kein Hochgefühl aufkommt.

    Nachzulesen hier

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!