Fahrbericht ZX-6R

-- WICHTIGES AN DIESER STELLE --

Stammtische: KawasakiS NRW 07.12. Willich

  • KAWASAKI ZX-6R

    Grüner Allroundrenner

    Nach Meinung der Hersteller ist der Marktanteil der 600er Supersportler noch ausbaufähig. Die Schwierigkeit besteht nur darin, Fahrtauglichkeit im Alltag mit sportlichem Reiz so zu verbinden, dass man ein Motorrad entwickelt, welches genauso geeignet ist, eine Weltmeisterschaft zu gewinnen, wie einen Beifahrer zufrieden stellen zu können.

    Diese zunehmende Polarisierung der Supersport-Spezifikationen zwischen wirtschaftlichem Erfolg einerseits und sportlichen Lorbeeren andererseits hat alle Beteiligten verblüfft, selbst Honda. Im letzten Jahr haben die Japaner die CBR 600 F, die so lange der Maßstab in ihrer Klasse war, praktisch neu erfunden. Auf dem Papier hat sie ihre Reize, aber in der Wirklichkeit kann sie ihr offensichtliches Potential nicht umsetzen, was auch durch ihr langweiliges Äußeres und ausdruckslose Persönlichkeit bei härterer Gangart unterstrichen wird. Suzukis Supersport Weltmeistermotorrad GSX-R 600 neigt zum anderen Extrem. Drehfreudig und schnell, sieht sie immer nach Rennmotorrad aus und kann leicht mit ihrer Superbike-Schwester verwechselt werden. Viel Vorschuss an Optik, aber nicht genug Alltagstauglichkeit. Im Gegensatz dazu fand Yamaha den richtigen Kompromiss, um möglichst viele Kunden an ihre sportlichen Vierzylinder zu binden. Man kreierte zwei grundverschiedene Modelle, die beide Extreme am Markt abdecken: die YZF 600 Thundercat ist ein Motorrad, auf dem Du gern mit Beifahrerin ins Wochenende fährst und halbwegs sicher sein kannst, dass sie am Ende noch mit Dir redet. Versuchst Du das auf der R6, setzt Du Dich über kurz oder lang der Gefahr aus, dass Du unterwegs anfängst, Busfahrpläne für Ihre Rückreise zu lesen.

    Zu guter Letzt gibt es noch Kawasaki, die sich wohl zugute halten können, vor Jahren mit der GPZ 600 R die 600er Supersport-Klasse erfunden zu haben. Die "Gemeinen Grünen" setzten bald, wie auch Yamaha, auf die Zweimodell-Strategie, mit der ZZ-R 600 für Jedermann und der ZX-6R für die, die nah an der Rennstrecke gebaut haben. Für den Modelljahrgang 2000 wurde die ZX-6R noch einmal kräftig überarbeitet.

    Jetzt sitze ich hier in der Boxenecke am Grand Prix-Kurs von Valencia im sonnigen Spanien und bin felsenfest davon überzeugt, dass ich den ganzen Tag lang das Motorrad gefahren habe, welches von den aktuellen Maschinen dem idealen Supersport-Bike in jeder Beziehung am nächsten kommt: die neue Kawasaki ZX-6R. Kawasaki hat die Alltagstauglichkeit deutlich verbessert, ohne die Leistungsfähigkeit auf der Rennstrecke zu verringern. Im Gegenteil, die Entwicklungsingenieure bei Kawasaki können sicher sein, dass ihr neues Motorrad auch angesichts der geerbten Verpackung aus dem Fundus des unverwechselbaren neuen Familien-Looks, den sie mit der ZX-9R und der ZX-12R teilt, bleibenden Eindruck hinterlassen wird.

    Beim Triebwerk hat man an demselben DOHC 16-Ventil-Motor festgehalten, der bis zur Ankunft der CBR 600 den kürzesten Hub im Supersport Fahrerlager hatte. Aber anders als die Honda nutzt die ZX-6R das auch aus. Die Drehzahlgrenze liegt jetzt bei 14.500 U/min. Auf der Rennstrecke bringt dies zwei klare Vorteile. Erstens, oben gibt es mehr Kraft. Kawasaki gibt ca. 3 PS mehr im Vergleich zum Vormodell an. Zum Zweiten ist diese Kraft den ganzen Weg hinauf bis zur Verabredung mit dem Drehzahlbegrenzer verfügbar. Der Motor leistet 2000 Umdrehungen mehr, eine Drehzahlorgie, die das Halten eines Ganges und das Hochdrehen der Maschine zwischen zwei Kurven zu einem langanhaltenden Vergnügen macht. Für den Alltag hat man diese extreme Kraftentfaltung aber nicht auf Kosten eines noch schmaleren Drehzahlbereichs als beim Vorgängermodell eingetauscht. Weit gefehlt! Obwohl der Motor wirklich gern dreht und sich stark und unzerbrechlich anfühlt, scheint er viel muskulöser zu sein als vorher. Er beginnt schon bei niedrigen 3000 Umdrehungen Kraft zu entwickeln. Das K-TRIC-System entfaltet ab dieser Drehzahl zusammen mit den 36-mm Mikuni Vergasern eine steil und sauber ansteigende Power-Kurve, die das Tempo dank der verringerten Trägheit des leichteren Motoreninnenlebens noch schwungvoller ansteigen lässt.

    Der Motor geriet um ganze 3,5 Kilogramm leichter und auch beim Fahrwerk ließen sich noch weitere 1,5 Kilo einsparen. Das ergibt ein Trockengewicht von 171 kg. Erreicht wird das nicht nur durch Ventildeckel, Ölwanne und Kupplungsdeckel aus Magnesium, sondern auch durch einen galvanisch beschichteten Alu-Zylinderblock mit nach oben geschlossenen Wasserkanälen. Allein von Kurbelwelle und Kurbelwangen haben die Kawasaki-Techniker fast ein ganzes Kilo abrasiert. Zusammen mit einer um 7% reduzierten Schwungradmasse (einschl. Rotor) führt das zu mehr Spontaneität im unteren Drehzahlbereich. Das erklärt auch, warum das Gas besser angenommen wird und die Beschleunigung von unten heraus beim neuen Bike agiler ist. Viele Teile wie Nockenwelle, Kupplung, Schaltwellen und Zündung sind im Gewicht optimiert worden, so auch der neue Ram Air-Kanal zur Airbox. Kawasaki hat aber auch auf die Verbesserung der Zuverlässigkeit geachtet. Zu den vielen Verbesserungen im Detail gehört der kräftigere fünfte Gang, die Einlassventile sind gehärtet und der Auspuff aus Edelstahl hat eine dickere Wandung erhalten, um einer Rissbildung zuvorzukommen. Farbmäßig kommen die meisten Kawasakis natürlich in grün zum Kunden, aber man kann die ZX-6R auch in silber oder rot ordern. Außerdem sind alle ZX-6R serienmäßig mit dem Kawasaki Abgasreinigungssystem KLEEN (Sekundärluftsystem und Katalysator) ausgestattet.

    Um die verbesserte Kraftentfaltung zu erzielen, hat der neue Motor jetzt halbkugelförmige Brennräume, deren Entwicklung direkt aus dem Motor des Werks-ZX-7RR Superbikes abgeleitet wurde. Um sieben Millimeter kürzere Ansaugstutzen und die auf 12,8:1 erhöhte Verdichtung bringen allein ein PS mehr Leistung und 500 Umdrehungen mehr im oberen Drehzahlbereich. Der Zündrotor, das überarbeitete Zündwinkelkennfeld und der von 8 auf 16 Bit aufgerüstete Hauptprozessor sorgen für eine ideale Zündverstellung. Vor allem anderen aber ist es die deutliche Verstärkung der Power im Mittelbereich von 5000 Umdrehungen aufwärts, die den größten Unterschied ausmacht. Wo das Vorgängermodell nur ab 7000 Touren heftig anzog, ist das Loch in der Kraftentwicklung nun gefüllt worden. Dies trägt am meisten zu besserer Alltagstauglichkeit bei, weil man nicht mehr so oft schalten muss, um ordentlich in Fahrt zu kommen oder in Schwung zu bleiben.

    Auch wenn man die Nadel auf dem analogen Tacho (eine Spritwarnleuchte fehlt leider im sonst recht vollständigen Cockpit) ins letzte Viertel katapultiert hat, ist beim Dreh am Gasquirl immer noch Vorwärtsdrang spürbar. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei etwa 255 km/h und, obwohl die relativ kurze Gerade in Valencia dies zu testen nicht zuließ, gibt es keinen Zweifel daran, dass dieses Motorrad ein potenter Vertreter seiner Hubraumklasse ist, nur eben schneller und alltagstauglicher als sein Vorgänger.

    Dasselbe gilt für das Fahrwerk, dessen überarbeitete Lenkgeometrie dafür sorgt, dass sich die ZX-6R sowohl in schnellen, weiten als auch in engen Kurven stabiler verhält. Das liegt zum Teil am 5 mm längeren hinteren Stoßdämpfer, der sowohl den effektiven Lenkkopfwinkel steiler werden lässt, als auch mehr Gewicht auf die verbreiterte Teleskopgabel erhöht. In Bezug auf das Chassis zeigt sich die Kawasaki sehr solide und robust, ohne schwer lenkbar oder unhandlich zu wirken. Die Verarbeitungsqualität ist gut und innerhalb des 1400 mm langen Radstands gibt es viel Platz für einen Fahrer über 1,80 m. Die Kawasaki ist sicherlich das komfortabelste und am besten ausgestattete Motorrad dieser Klasse. Alles ist am rechten Platz.

    Die rasende Entwicklungsgeschwindigkeit auf zwei unterschiedlichen Schauplätzen, Alltag und Rennstrecke, ist vielleicht die größte Herausforderung in der 600er Supersport Klasse. Mit einem neuen Modell aufzuwarten, das die Rivalen in beiden Fällen schlägt, ist nicht einfach zu bewerkstelligen. Nach der Erfahrung meiner Tagestestfahrt im sonnigen Spanien muss ich allerdings gestehen, dass Kawasaki genau diesen Spagat geschafft hat. Grün heißt Go - an die Spitze der 600er Supersport Klasse.

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