Fahrbericht Kawasaki ZX 6R Mod. 2003

-- WICHTIGES AN DIESER STELLE --

Stammtische: KawasakiS NRW 07.12. Willich

  • Fahrbericht
    Kawasaki ZX 6R Mod. 2003

    aus bma 11/03

    von Klaus Herder

    Dieses Motorrad werde ich nicht kaufen. Aus Prinzip nicht, denn dieses Motorrad beleidigt mein Auge. Genau genommen ist es gar nicht das Motorrad, es ist dieses unsägliche Kombi-Instrument, das dort hängt, wo andere Motorräder einen anständigen Tacho und einen dazu passenden Drehzahlmesser haben. Die neue Kawasaki ZX-6R hat an dieser Stelle einen Haufen Digitalanzeigen-Scheiße. Entschuldigen Sie bitte die harten Worte, aber eine andere Formulierung fällt mir dazu wirklich nicht ein. Seit dem völlig zu Recht gefloppten Opel Senator, Modelljahr 1984, sollten Fahrzeugkonstrukteure eigentlich wissen, dass LCD-Anzeigen alles andere als übersichtlich sind. Aber nein, irgendein schlauer Kawasaki-Techniker (Oder war es ein noch schlauerer Marketing-Knecht?) hat diesem Motorrad (und leider auch der sonst so schönen Z 1000) ein schlecht abzulesendes Anzeigen-Monstrum verpasst, das wie eine üble Kreuzung aus Casio-Billiguhr und Ghettoblaster-Fernbedienung aussieht. Pfui! Dazu passt, dass der unglaublich wichtige Schaltblitz von jedem Glühwürmchen überstrahlt wird.

    Einen habe ich noch: Warum hat dieses immerhin 9640 Euro teure Motorrad keinen verstellbaren Kupplungshebel? Die knapp zehn Jahre alte GPZ 500 S meiner Frau hat so etwas, aber bei einem 2003er-Supersportler zum doppelten Preis soll das nicht drin sein? Traurig!
    Aber vielleicht bin ich nur ein unwissender Banause. Vielleicht hat das alles nur mit dem Kampf um jedes Gramm zu tun. Die 2002er-ZX-6R wog vollgetankt noch 200 Kilogramm, was nach Supersportler-Maßstäben gleichbedeutend mit „eigentlich unfahrbar" ist. Die aktuelle ZX-6R wiegt mit 18 Litern Normalbenzin befüllt gerade mal 188 Kilogramm. Zwölf Kilo in einem Jahr - das muss doch irgendwo herkommen. Die Drehzahlmesser- und Tacho-Nummer hat garantiert satte 148 Gramm gespart. Und so ein fehlender Kupplungshebel-Versteller bringt auch echte 69 Gramm. Also, was soll das Gemecker?

    Deutlich mehr Gewicht sparte Kawasaki bei der Neuauflage ihres Mittelklasse-Sportlers aber natürlich an ganz anderer Stelle ein. Dem Vierzylinder und dem Rahmen ging's kräftig ans Leicht-Metall. Ein neues Kurbelgehäuse, eine neue Zylinderbank, ein kompakterer Zylinderkopf, kürzere Ventilführungen, leichtere Tassenstößel und Ventilfedern sowie neue Nockenwellen mussten her. Glücklicherweise setzte sich in Japan auch die Erkenntnis durch, dass große Löcher auch nicht mehr wiegen als kleine Löcher. Also blieb's beim durch zwei Millimeter mehr Bohrung gewonnenen Hubraum-Plus von 37 ccm und einem Gesamthubraum von 636 ccm. Damit darf die ZX-6R zwar nicht mehr offiziell bei den 600ern um Supersport-Pokale rennen, doch das wird den Straßenfahrer nicht die Bohne interessieren. Immerhin steckte schon das ebenfalls mit 636 Kubik daherkommende Vorgängermodell die 599-Kubik-Konkurrenz leistungs- und drehmomentmäßig in die Tasche. Und wer partout Rennen fahren will, bekommt vielleicht noch eins der weltweit auf 1000 Stück limitierten Renngeräte namens ZX-6RR. Die hat korrekte 599 ccm.

    Die mittlerweile fünfte ZX-6R ist die erste 600er-Kawasaki, die mit einer Einspritzanlage ausgerüstet ist. Damit der Kraftstoff auch immer mit schön viel Luft in Verbindung gebracht werden kann, änderte Kawasaki radikal die Ansaug-Mimik. Der beim Vorgängermodell unterm Doppelscheinwerfer platzierte und wie eine maulig vorgeschobene Unterlippe aussehende Ram-Air-Schnorchel entfiel. Besserer, weil verlustärmerer Druck knallt nun mittig oberhalb der Scheinwerfer durch die schlankere Verkleidung, saust direkt am Lenkkopf vorbei und landet dann in einer voluminöseren Airbox. Einspritzung, überarbeitete Innereien, direktere Ansaugwege - das bringt zusammen ein Leistungs-Plus von fünf PS und als Spitzenwert nunmehr 118 PS bei 13.000 U/min. Wenn der Staudruck am Ram-Air-Einlass so richtig rammt, sollen übrigens bis zu 125 PS anliegen. Nur kurz zur Erinnerung: Es geht hier um eine Mittelklasse-Maschine mit 636 ccm.

    Bereits bei der ersten Sitzprobe wird klar, dass sich Kawasaki endgültig vom Die-muss-alles-können-Konzept verabschiedet hat. Radikaler und kompromissloser war noch keine ZX-6R. Die auch zuvor schon recht tief angeschraubten Lenkerstummel wanderten weitere 50 Millimeter in Richtung Asphalt und sind auch noch stärker gekröpft. Die Fußrasten sitzen dafür 15 Millimeter höher, der Tank geriet noch etwas schmaler, und das nicht gerade üppig gepolsterte Sitzkissen steht noch etwas steiler. Fachleute nennen die daraus resultierende und etwas gymnastisches Talent erfordernde Sitzposition „Vorderradorientiert". Ich nenne es „zusammengefaltet" und „angriffslustig".

    Der flüssigkeitsgekühlte Reihenvierzylinder lässt sich nicht lange bitten, damit es mit dem Angreifen losgehen kann. Nervten die ersten Auflagen der seit 1994 gebauten ZX-6R noch regelmäßig mit elendig langen Startprozeduren, ist die aktuelle 636er ein Muster an Startwilligkeit und Kaltlaufkultur.

    Eins blieb erfreulicherweise unverändert: Der rattenscharfe und dabei durchaus legale Kawa-Sound. Bereits im Leerlauf lässt sich ahnen, was es in der Folge auf die Ohren gibt. Schaurig schön schnorchelt und grollt es bei niedrigen Drehzahlen. So ab 4000 U/min wird daraus ein kehliges Röhren, rund 4000 Umdrehungen später brüllt der Vierzylinder infernalisch aus dem Edelstahl-Auspuff. Doch so weit ist es noch nicht. Noch ist Stadt- und Vorortverkehr angesagt - und das ist mit dem Supersportler nicht unbedingt der reine Genuss. Die Handgelenke schmerzen recht schnell, jedes abrupte Bremsmanöver sorgt dafür, dass ein primäres Geschlechtsmerkmal des Mannes ungewünschten und meist schmerzhaften Kontakt mit dem schmalen Tankabschluss bekommt.

    Doch sobald das Ortsschild im Rückspiegel verschwindet, ist alles gut. Die ZX-6R reißt mit einer Vehemenz an, die man sonst nur aus der Ü-750-Kubik-Klasse kennt. Das perfekt gestufte Sechsganggetriebe braucht vom Schaltfuß klare Ansagen, flutscht dann aber bestens. Ab 8000 U/min brennt die Luft - und zwar nonstop, denn erst bei 15.500 U/min (in Worten: FÜNFZEHNTAUSENDFÜNFHUNDERT!) schreitet der Drehzahlbegrenzer materialschonend ein. Die ZX-6R ist unglaublich drehfreudig, aber sie braucht die ganz hohen Drehzahlen eigentlich gar nicht, über 11.500 U/min müssen nicht sein. Im Vergleich zur direkten 600er-Konkurrenz hat man auf der ZX-6R immer das Gefühl, dass mit weniger Kurbelwellen-Umdrehungen das Gleiche geht. Oder anders gesagt: Bei gleichen Drehzahlen drückt die Kawa immer etwas besser. Mit Messgeräten gesegnete Kollegen bestätigen, dass die ZX-6R bei gleicher Drehzahl im mittleren Bereich bis zu zehn PS mehr als die CBR, GSX-R und YZF leistet. Unglaublich, was 37 ccm ausmachen.

    Wer sich hinter der Verkleidung klein macht - also so sitzen bleibt, wie er ohnehin schon sitzt - kann die ZX-6R auf echte 260 km/h Spitze treiben. Den stammtischmäßig sehr wichtigen 0-auf-100-Sprint erledigt der grüne, blaue oder schwarze Renner in rund drei Sekunden. Viel wichtiger dürfte aber sein, dass die Gasannahme traumhaft direkt, ohne irgendwelche Einbrüche, ohne Lastwechselreaktionen (für die die ersten ZX-R durchaus berüchtigt waren) erfolgt und alles mit nur mäßigen Vibrationen abgeht.

    Gefragt ist ein eher aktiver Fahrer, denn die ZX-6R ist kein Fahrrad aus der Reihe „Fällt von allein in die Kurve". Ihr Pilot sollte nicht nur die Gas- und Kupplungshand bewegen. Dabei hilft ihm in freier Wildbahn die innerorts noch so störende Gebückten-Haltung. Scharf anbremsen, zügig einlenken, früh aufmachen - das macht mit der ZX-6R unglaublich viel Spaß, vorausgesetzt, man macht aktiv mit.

    Wer sich voll einbringt und möglichst flott unterwegs ist, hat auch keine Zeit, sich über die knüppelharten Schläge zu beschweren, die das Kawasaki-Fahrwerk an den Fahrer weitergibt. Wie gesagt: Die ZX-6R ist absolut kompromisslos. Die neue Upside-down-Gabel und das ebenfalls voll einstellbare Zentralfederbein kennen den Begriff „Komfort" noch nicht mal vom Hörensagen. Selbst mit voll geöffneter Dämpfung teilen die Teile gnadenlos aus. Merke: Je leichter der Fahrer, desto Aua der folgende Muskelkater. Aber: Das geht alles nur zu Lasten des Piloten, nie zu Lasten der Zielgenauigkeit oder Fahrstabilität. Ganz im Gegenteil, die superhandliche ZX-6R ist für die Rennstrecke gemacht, und da wird eine nachlässige Fahrwerksabstimmung bekanntlich böse bestraft.

    Und dort braucht man auch gnadenlos zupackende Bremsen. Die ZX-6R hat sie serienmäßig. Radial mit der Achsaufnahme verschraubte Tokico-Vierkolben-Festsättel gehören mit zum Besten, was momentan serienmäßig verbaut wird. Dabei sind die feinen Stopper weder besonders aggressiv oder hinterhältig, sie sind einfach nur sehr, sehr wirksam und auch bei harten Manövern mit zwei Fingern perfekt zu dosieren.

    Wer sich für die Kawasaki ZX-6R entscheidet, bekommt einen gut verarbeiteten Supersportler, der den zur Zeit besten Motor der 600er-Klasse besitzt (auch wenn es kein „echter" 600er ist). Die ZX-6R bietet 750er-Power gepaart mit 600er-Handlichkeit. Eher passive Naturen mit Hang zur Bequemlichkeit werden mit der ZX-6R aber garantiert nicht glücklich. Man kann es nicht oft genug schreiben: Die ZX-6R ist kompro-misslos. Und zwar besonders kompromisslos in Sachen Sitzposition und Fahrwerksabstimmung. Das Renntraining ist viel mehr ihre Sache als das Bummeln über drittklassige Landstraßen.

    Durch das fiese Tacho/Drehzahlmesser-Geschwür muss man sich dann aber vielleicht doch nicht vom Kauf abhalten lassen. Der Zubehörmarkt hält auch und gerade für Racer wunderschöne Analog-Drehzahlmesser bereit. Ich werde es mir wohl doch noch überlegen.

    Nachzulesen hier

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