Fahrbericht Kawasaki GPX 600 R

-- WICHTIGES AN DIESER STELLE --

Stammtische: KawasakiS NRW 07.12. Willich

  • Fahrbericht
    Kawasaki GPX 600 R - Billig oder preiswert?

    Aus bma 10/96

    Von Günter Pfeifer

    Im SSV oder WSV gibt es SOS (Socken-Oberhemd- Schlips) für DM 20 oder auch den Beerdigungsblazer für DM 30, warum also sollte es im umfangreichen Motorradangebot nicht auch einmal ein echtes „Schnäppchen” geben?

    Bei der Suche auf dem nicht allzu großen Grabbeltisch für Bikes wurde ich dann auch schnell bei Kawasaki fündig und erbeutete die sportliche, vollverkleidete GPX 600 R, mit wassergekühltem Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor zum günstigen Preis von DM 10.490. Einem Preis also, bei dem sich die Frage nach dem qualitativen Zustand aufdrängt. Denn aktuelle Supersportler der 600er Klasse kosten mittlerweile ein kleines Vermögen. Im äußeren Erscheinungsbild zeigt sich die GPX 600 eckig, kantig und wirkt etwas betagt. Auch die 16 Zoll Räder weisen darauf hin, daß ihre Konstrukteure im vorigen Jahrzehnt vor den Zeichenbrettern gestanden haben.

    Damals, beim ersten Auftritt im Spätherbst 1987, war sie ein brandheißer Renner und machte mit ihren 85 PS neben der CBR 600 von Honda keine schlechte Figur.

    Doch aus den Machtkämpfen der Spitzenrenner hielt sie sich in den Folgejahren völlig heraus. Mit vornehmer Zurückhaltung liebäugelte sie mit Kunden, bei denen nicht uneingeschränktes Heizerdenken im Vordergrund stand, sondern die sich von einem guten Preis-/Leistungsverhältnis überzeugen ließen. Dabei sind auch heute noch ihre Hauptargumente: der günstige Anschaffungspreis, geringer Normalkraftstoffverbrauch, versicherungsfreundliche PS-Zahl und das alles bei Fahrleistungen, die sich sehen lassen können (z.B. in sieben Sekunden von 0 auf 140 km/h oder im sechsten Gang von 60 auf 120 km/h in 14 Sekunden). Mit diesen Sprinterqualitäten und einer Vmax von über 200 km/h spielt sie im Chor der Mitbewerber, wenn auch nicht die erste Geige, doch ein unüberhörbares Instrument.

    Damit ist auch schon gesagt, daß die Stärken der Kawasaki GPX 600 R nicht nur im Bereich des schnöden Mammons liegen. Das Herz der Maschine ist ein dem heutigen Stand der Hochleistungstechnik entsprechender, wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor mit zwei obenliegenden, über Kette angetriebenen Nockenwellen und vier Ventilen pro Zylinder, die von Gabelschlepphebeln betätigt werden. Für die Gasgemischaufbereitung sorgen vier Keihin-Gleichdruckvergaser mit 32 mm Durchlaß. Die Aufgabe der korrekten Funkenbildung übernimmt eine kontaktlose Transistorzündung. Der Motor mit einem Hubraum von 593 ccm hat eine Nennleistung von 54 kW (73 PS). Er überzeugt mit vorbildlicher Kraftentfaltung über den nutzbaren Drehzahlbereich von 2000 bis 11000 U/min. und läuft ausgesprochen drehfreudig.

    Wer es einmal nicht ganz so eilig hat, der wird darüber erstaunt sein, wie „schaltfaul” sich die Maschine fahren läßt. Denn öffnet man schlagartig die Drosselklappen im Drehzahlkeller, dreht der Motor völlig ohne Schluckbeschwerden oder andere Unwilligkeitsäußerungen sauber hoch. Temperamentsausbrüche sind jedoch erst über 6000 U/min. zu erwarten; dann erwacht der Leistungssportler im Motor, braucht dann aber auch die Unterstützung des Schaltfußes. Das Getriebe arbeitet sauber, exakt und schnell. Blitzschnelle Gangwechsel zwischen den sechs Gängen kommen einer sportlichen Fahrweise sehr entgegen. Technisch interessant ist auch der im Getriebe eingebaute „Leerlauffinder”.

    Eine Kugelverriegelung verhindert im Stand das Schalten vom ersten in den zweiten Gang bzw. in die darüberliegenden Gänge. Wer im Stand vom ersten Gang nach oben schaltet hat also immer den Leerlauf gefunden. Erst wenn sich das Getriebe nach dem Anfahren dreht, heben die Verriegelungskugeln auf Gr und der Zentrifugalkraft die Blockierung auf.

    Im Fahrbetrieb ist die Handlichkeit des kleinen Renners kaum noch zu überbieten. Fast ohne körperlichen Einsatz des Fahrers zieht die GPX zielsicher und spielerisch ihre Bahn. Schnelle Schräglagenwechsel bringen das Fahrwerk nicht aus der Ruhe. Doch die Leichtigkeit, mit der die 600er um die Kurven flitzt, verlangt auch nach fahrerischer Disziplin. Wer bei Gewichtsverlagerung und Körpereinsatz des Guten zu viel tut, darf nicht überrascht sein, wenn die Maschine äußerst nervös reagiert. Ursachen für die hervorragende Handlichkeit sind: - die schmal bereiften 16 Zoll-Alu- Gußräder, vorn 110/80 V 16 und hinten 130/90 V 16 - der relativ steile Lenkkopf - ein knapper Radstand - der niedrige Schwerpunkt und das geringe Gewicht von 180 kg. In aller Deutlichkeit zeigt hier Kawasaki noch einmal, daß 16 Zoll Fahrwerke, bei guter technischer Abstimmung, durchaus handlich sein können.

    Der Fahrer ist in die Vollverkleidung integriert. Durch die stark konturierte Sitzbank entsteht eine Sitzhöhe von nur 76 cm und so finden auch die Füße von kleineren Fahrern den erforderlichen Bodenkontakt. Die Sitzposition liegt irgendwo zwischen sportlich und tourenmäßig und ist durchaus dafür geeignet, auch längere Fahrten von einigen hundert Kilometern entspannt zu erleben. Die Knie liegen dabei eng am schmalen Tank und der Körper des Fahrers wird vom Kawa-Kleid recht gut vor den Unbilden der Witterung geschützt. Lediglich der Kopf wird vom Fahrtwind hart getroffen. Wer also die GPX auf dem Weg zur Arbeit benutzt oder viel auf großer Tour ist, dem sei eine Spoilerscheibe aus dem Zubehörhandel empfohlen.

    Die Beschaffenheit des Cockpits gibt keinen Anlaß zu Beanstandungen. Alle nötigen Armaturen, Instrumente und Warnleuchten sind vorhanden und auch die Schalter sitzen dort wo man sie vermutet und wo sie bei den meisten Modellen sitzen. Auch der Hebel für den Choke befindet sich am linken Lenkerende, seine Dosierung verlangt nach dem Anspringen des Motors jedoch viel Fingerspitzengefühl. Die Aufhängung des „Instrumentenbrettes” ist leider etwas zu flexibel geraten, es zeigt während der Fahrt schon mal ein gewisses Eigenleben.

    Alles Positive über die Sitzposition des Fahrers kehrt sich für den Beifahrer ins Gegenteil um. Der Sozius ist allenfalls für einen kurzen Sonntagnachmittagsausflug bei schönem Wetter geeignet. Der Versuch eines solchen Ausflugs scheiterte bereits nach einer kurzen Sitzprobe. Der genaue Wortlaut meiner Sozia zu diesem Punkt fiel der Zensur zum Opfer. Aber vielleicht sind andere Mitfahrer/innen ja leidensfähiger. Mit diesem Mangel steht die GPX jedoch nicht allein da, sie befindet sich in Gesellschaft nahezu aller Sportmaschinen dieser Klasse.

    Ganz ohne Kritik kann auch das Fahrwerk nicht bleiben. Eine leichte Empfindlichkeit bei Längsrillen in der Fahrbahn ist spürbar, sie wirkt sich jedoch nicht auf die Fahrstabilität aus. Beim Federungskomfort allerdings sind Abstriche zu machen. Die Telegabel mit den großen 38er Standrohren versieht ihren Dienst noch recht ordentlich, aber das Uni-Trak-System sagt schon recht deutlich, wie die Fahrbahn unter der Maschine beschaffen ist. Allerdings gibt es die Möglichkeit, die Luftunterstützung des Zentralfederbeines zu nutzen und die Zugstufe zu verstellen. Doch ist damit eine Komfortverbesserung allenfalls bei voller Zuladung zu erreichen.

    Die Bremsen - vorn Doppelscheibenbremse mit Doppelkolben auf 270er Scheibe und hinten eine Scheibe mit Einkolbensattel und einem Durchmesser von 250mm - werden mit der kinetischen Energie in den jeweiligen Fahrzuständen bestens fertig und sind gut zu dosieren.
    In der Zusammenfassung kann festgestellt werden: Der Käufer dieser Maschine bekommt für ca. DM 10.000 je nach Verhandlungsgeschick ein hervorragendes Motorrad. Es ist schnell, zuverlässig und in wirtschaftlicher Hinsicht kaum zu überbieten. Die Technik von Motor und Fahrwerk ist ausgereift und erprobt. Die GPX 600 R liegt im Kreise der 600er Sportler lediglich im Design und in der PS-Leistung leicht zurück. Dafür glänzt sie mit beispielhafter Handlichkeit.

    Nachzulesen hier

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